Die Äußerungen von Guido Westerwelle über Hartz-IV-Empfänger sind derart sarkastisch, infam und perfide, dass ein Sprachwissenschaftler, der sich bei seinem Wirken auch der Gesellschaft verpflichtet fühlt, auf das Wesen von Westerwelles politischer Rhetorik hinweisen muss.
Er malt mit seiner Rhetorik dabei gefährliche Bilder, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzen können. In einem Artikel auf sueddeutsche.de vom 16.02.10 wird Westerwelle mit folgendem Satz zitiert: “Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, der lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.”
Natürlich nennt Herr Westerwelle niemanden, der dieses Versprechen je gemacht hätte. Und natürlich tut Westerwelle indirekt so, als ob sich Anstrengung automatisch lohne. Es sei daran erinnert, dass Herr Westerwelle eine Wirtschaftspolitik unterstützt hat, die viele Menschen erst zu Hartz-IV-Empfängern gemacht. Es sei daran erinnert, dass Herr Westerwelle sich nicht erregt hat, wenn Unternehmen trotz Gewinn Entlassungen durchführen oder ankündigen. Genauso wenig hat Herr Westerwelle bislang etwas dagegen getan, dass es auch an den Universitäten für die Karriere und die Weiterbeschäftigung von befristet beschäftigten Wissenschaftlern nicht auf die Arbeitswilligkeit, den Fleiß und die Leistung ankommt.
Die offizielle Missbrauchsquote bei Hartz-IV liegt unter 2%!. Westerwelle blendet aus, dass fast 100% Hartz-IV-Empfänger leistungsbereit sind, Arbeit suchen, erhalten und annehmen und/oder sogar etwas für die Gesellschaft arbeiten (in Form von Praktika, Sozialarbeiten) – sie erhalten nur kein Geld von Unternehmen dafür. Westerwelle versteht nicht, dass fast 100% der Arbeitslosen Arbeitssuchende sind.
Mit der jetzigen Debatte stellt Westerwelle allenfalls unter Beweis, dass er von Wirtschafts-, Sozial-, Bildungspolitik und vor allem politischer Verantwortung wenig versteht. Er spielt gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aus, statt zur Zusammenarbeit zu ermuntern. Gesellschaftliche Gräben aber behindern eine Lösung von wirtschaftlichen Aufgaben, behindern die Überwindung von Hindernissen in der wirtschaftlichen Entwicklung. Im Kampf um die Medienaufmerksamkeit sind nicht alle Mittel erlaubt. Politische Rhetorik muss da enden, wo das Recht auf Menschenwürde verletzt wird.
Mit Blick auf das Zitat zur spätrömischen Antike sei auf eine Äußerung von Heiner Geißler hingewiesen, der in einem Interview mit der Welt erläuterte: die spätrömische Dekadenz habe unter anderem darin bestanden, dass Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hatte. “Insofern stimmt Westerwelles Vergleich: Vor 100 Tagen ist ein Esel Bundesaußenminister geworden.”
War’s nicht doch ein Pferd? 😉 Cheerio, Marc
Kommentar von Marc — 22. Februar 2010 @ 10:20
Stimmt – da hat sich Geißler eben literarische Freiheit genommen…
Kommentar von grzega — 22. Februar 2010 @ 22:01