Ein philologisches Grußwort zum neuen Jahr, das vielleicht manche mit einem Neujahrsfreudenschrei begonnen haben. Hier geht es jedoch um den Schrei aus Filmen, die auch sprachwissenschaftlich interessant sind.
Die von Edgar Rice Burroughs erdachte Figur Tarzan taucht zum ersten Mal 1912 in der Geschichte “Tarzan of the Apes” auf, die im All-Story Magazine publiziert wurde. Bereits 1918 folgen erste Verfilmungen. Den berühmten Schrei hört man jedoch zum ersten Mal im 1932 erschienenen Film Tarzan, der Affenmensch (engl. Tarzan the Ape Man [= A]). Der MGM-Film beginnt wie gewohnt mit dem Gebrüll eines Löwen im MGM-Enblem. Auf selbigem liest man den pseudolateinischen Spruch Ars gratia artis. Vermutlich handelt es sich hierbei einfach um eine anglolateinische Lehnübersetzung von Französisch L’art pour l’art ‘Kunst um der Kunst willen’. In klassischem Latein hätte es nämlich Ars artis gratia oder Artis gratia ars heißen müssen. Dann ertönt – anders als bei den folgenden Filmen – eine afrikanisch anmutende Filmmusik. Der Plot der ersten 20 Minuten ist dann jener, der auch in den nächsten beiden Tarzan-Filmen (Tarzans Vergeltung [V], erschienen 1934, und Tarzans Rache [R], erschienen 1936 ), zum Teil mit kopierten Szenen, wiederzusehen sein wird: In einem Dorf in Belgisch-Kongo wird zunächst eine Expeditionstruppe zusammengestellt, die zum Mutia-Plateau will; die Expedition führt durchs Gebiet der Gaboni, die die Truppe angreifen (dabei müssen ein paar Eingeborene dran glauben); die Truppe flieht zum für die Gaboni heiligen Mutia-Steilhang; die Truppe erklimmt den Mutia-Steilhang (dabei müssen ein paar Eingeborene dran glauben und abstürzen); dann hat man das Plateau und damit Tarzans Gebiet erreicht. Insgesamt wird dabei – im Gegensatz zu früheren Stummfilmen und späteren Tonfilmen – wenig Hintergrund-Musik verwendet.
Wie gesagt, so läuft es schon im ersten Film ab. Den Tarzan-Schrei hört man dann zum ersten Mal in Minute A 23 , zum zweiten Mal in Minute A 32 zusammen mit seinem Urheber, dem Schwimm-Olympioniken Johnny Weissmuller. Auch in R und V hört man den Schrei das erste Mal um Minute 20 herum, immer zunächst ohne dass die Person Tarzan zu sehen ist. Dass der Schrei ein Produkt verschiedener technischer Raffinessen war, ist nicht bewiesen. Dass der Schrei von Weissmuller stammt, wurde dagegen von Jane-Darstellerin Maureen O’Sullivan bestätigt. Dazu passt auch, dass Jane ab dem zweiten Film selbst einen ähnlichen Schrei beherrscht (Min. V 24). In der Episode Tarzan und sein Sohn (= S, erschienen 1939) bekommen Tarzan und Jane einen Adoptiv-Sohn (gespielt von Johnny Sheffield), der sich ebenfalls einen solchen Schrei aneignet.
Edgar Rice Burroughs hatte seinen Tarzan als gebildeten “edlen Wilden” geschaffen, wie ein Kulturwissenschaftler sagen würde. In den Romanen wird er als moralisch gut und gebildet, sogar als außerordentlich sprachbegabt dargestellt. Am Ende kann er am Ende Englisch, Französisch, Niederländisch, Deutsch, Swahili, viele Bantu-Sprachen, Arabisch, Latein, Altgriechisch, Maya und verständigt sich mit einer Reihe von Tieren. Der Weissmuller-Tarzan ist zwar meist gut, in Minute A 49 und A 52 allerdings bringt Tarzan ohne weiteren Grund (außer dass jemand, aber ein anderer, seinen Affenfreund umgebracht hat) zwei Eingeborene um. Im intellektuellen Vergleich fällt, dass sich der Weissmuller-Tarzan mit Tieren verständigen kann, insbesondere Affen und Elefanten, wobei es die gleichen Phrasen zu sein scheinen. Janes Sprache kann er dagegen nur bedingt lernen (dazu gehört auch der Ersatz des Wortes für ‘lehren’ durch jenes für ‘lernen’ in Min. V 48). Zum kulturellen Wissen Europas und der USA gehört dazu der Satz “Ich Tarzan. Du Jane.” Allerdings ist dies ein Pseudo-Zitat. Der Originaldialog in Minute A 41 lautet vielmehr wie folgt:
Jane: “Ich heiße Jane. Jane.”
Tarzan: “Jane.”
Jane: “Und du? Du?”
Tarzan: “Tarzan! Tarzan!”
Jane: “Tarzan.”
Tarzan: “Jane. Tarzan. Jane. Tarzan.”
Ein ab dem dritten Film vom Weissmuller-Tarzan häufig ausgesprochener Befehl ist Umgawa bzw. Ungawa. Dieses Kunstwort, zum ersten Mal zu hören in R 0:25:39, stammt nicht von Roman-Autor Burroughs, sondern von Drehbuchautor Cyril Hume. Der Befehl konnte praktisch alles bedeuten: ‘Stopp!’, ‘Los!’, ‘Gut!’. In den deutschen Versionen wird am Anfang manchmal eingedeutscht [u-], manchmal englisch-orientiertes [a-] gesprochen.
Bezeichnend ist die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Small-Talk und Liebesgeflüster gegenüber Tarzan erfolgt von Jane beinahe unaufhörlich. Bei der Expedition dagegen führen die Männer die Gespräche. Dies zeigt auch die traditionelle Rollenverteilung. Trotz manchen Emanzipationsaspektes akzeptiet Jane die traditionelle Rollenverteilug und sagt im dritten Film, als ihr Cousin und ihre Cousine sie nach Hause holen wollen, weil sie eine Erbschaft gemacht hat: “Wenn Tarzan sieht, dass er von einer reichen Frau abhängig ist – das könnte er nicht ertragen. Und wenn doch, umso schlimmer.” (Min. R 38).
Bezeichnend ist ferner die Kommunikation von und mit Eingeborenen und die Kommunikation über sie. Als ein “Schwarzer” in Minute A 21 bei einem gefährlichen Bergaufsteig der Safari-Truppe die Felsen hinab stürzt, fragt der eine “Weiße” (Holt) den anderen “Weißen” (Parker) als erstes danach, was in seinem Rucksack gewesen sei. Als in Minute R 19 ein Eingeborener beim Aufstieg abstürzt, aber sein Gepäck gerettet werden kann, wird dies vom Expeditionsleiter kommentiert mit “Wär beinah schief gegangen”. Immerhin wird letzteres von einem anderen ironisch kommentiert mit “Beinah ist gut” und immerhin lässt Expeditionsleiter Holt in V beim Versuch seinen afrikanischen Führer zu retten sein eigenes Leben. In Minute R 2 stößt ein “Weißer”, der nach dem Weg fragen will, einen knieenden “Schwarzen” mit der Fußspitze an und leitet dennoch seinen Satz dann mit “Verzeihung” ein.
Natürlich müssen die Afrikaner teilweise auch mit falscher Grammatik sprechen, z.B. “Boys haben Angst” (im Original: “Boys scared”; Minute R 24) und “Mohamed tot in Wasser” (Minute R 41). In aller Regel kann ohnehin nur der Anführer der Eingeborenen die Sprache der Expeditionsleiter. Alle anderen Eingeborenen brummeln nur oder sagen gar nichts. Interessant, dass der Anführer der Eingeborenen manchmal erklärt “Boys sagen …”, obwohl sie gar nichts gesagt haben. Und das, was man hört, sind allerdings ohnehin keine Bantu-Sprachen, sondern ein künstliches Gebrabbel. Oder will jemand glauben, dass die Bantu-Angehörigen tatsächlich zu oder über Manitou gesungen hätten, wie man dies in Minute A 14 hört? Die künstlerische Freiheit, Bantu-Wörter zu erfinden wurde auch den Synchronsprechern gelassen. So lautet das Film-Bantu-Wort für ‘Los!’ in A 1:42 im Original Tek-Beri, im Deutschen dagegen Patschi-patschi. Die nebensächliche Behandlung der Bantu-Sprachen wird auch an anderen Stellen deutlich. In V 0:24:29 sagt Tarzan kurz: “Singoma.”, welches Jane lang übersetzt mit: “Er sagt, er hilft euch auch mit den Boys.” Immerhin wird Jane als eine Person dargestellt, die bemüht ist, auch die “lokalen” Sprachen zu erlernen, einschließlich der Tiersprachen (vgl. Min.V 80). Verschiedene, gegenseitig unverständliche Bantu-Sprachen werden im ersten Film (A 0:32:00) als Dialekte bezeichnet. Allerdings muss man zugeben, dass der Unterschied zwischen Sprache und Dialekt auch für Sprachwissenschaftler ziemlich schwierig ist. Am Besten, man fasst das als eigene Sprache auf, was die Sprecher selbst als eigene Sprache sehen und spricht dann von Dialekt, wenn auch die Sprecher etwas als einen Dialekt sehen.
Des Weiteren sind die Filme ein Schatz mittlerweile veralteter deutscher Wörter: So hört man in R etwa Vetter statt Cousin, Alpdruck statt Alptraum und einholen statt einkaufen.
Daneben erfreuen einige Fehlleistungen in der Synchronisation: So wird Insekten-Forschung in Minute R 8 von Janes Cousine in der Synchronisation als entymologische Forschung statt entomologische Forschung bezeichnet. Und das amerikanische Wort für Insekten, bugs, wird mit dem Wort wiedergeben, das dessen britischer Verwendung entspräche: Wanzen (was nicht ganz dumm gedacht ist, da Janes Cousine ja aus Großbritannien stammt).
Und schließlich bleibt noch anzumerken, dass in den Synchronisationen der damaligen Zeit einige Eigennamen noch “eingedeutscht” wurden. So wird im dritten Film der britische Onkel nicht Pieter ausgesprochen, sondern Peter. Wäre Tarzan erst ein halbes Jahrhundert später das erste Mal synchronisiert worden, würden wir die zweite Silbe nicht wie Zahn, sondern wie Sähn sprechen…
“Aaaaaah Häpi Börsdey!”
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