Auszug aus unserem letzten EHP-Newsletter — sprachliche Aspekte in der Diskussion um die Krim.
18.03.14: Sprache kann Krieg oder Frieden bewirken – auch in der Krim-KriseDer von Willy Brandt, Helmut Kohl, Michail Gorbatschow und anderen erwirkte Ost-West-Friede ist in Gefahr. Der Mensch liebt es nämlich einfach: „wir“ und „die anderen“, „gut“ und „böse“, „schwarz“ und „weiß“ (ohne Graustufen). Die Einteilung geschieht subjektiv. Das gilt auch in der Krim-Krise. Dazu kommt, dass viele zeigen zu müssen glauben, dass sie stärker sind. Die EU sendet an Russland „Warnungen“, „Aufforderungen“, „Drohungen“ — Lautes kommt am ehesten in die Massenmedien der EU. Doch das Recht des (mutmaßlich) Stärkeren ist eigentlich etwas aus früheren Jahrhunderten. So schön einfache und subjektive Kategorisierungen in „gut“ und „böse“ ohne Zwischenstufen sein mögen, sie taugen nicht für internationale Politik und echt kritische Medien. Ein Gesprächsmodell wäre die Gewaltfreie Kommunikation, die Marshall Rosenberg entwickelt hat. Kern seines Modells ist die strikte Trennung zwischen (1) allen Menschen gemeinsamen Bedürfnissen und (2) Strategien, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Nachdem jemand beschrieben hat, welche Strategie des Gegenübers welches Bedürfnis stört, erbittet er dann eine konkrete alternative Strategie. Mit Rosenbergs Modell können zwei Menschen nicht nur Konflikte lösen, sondern auch vermeiden. Nun ist die Herausforderung für Politiker, dass sie nicht für sich selbst sprechen sollen, sondern für eine Gruppe, die sie repräsentieren. EU-Repräsentanten sollten also für die EU-Bevölkerung sprechen. Das heißt, dass sie die EU-Verträge kennen und Einfühlungsvermögen für alle(!) Menschen in der EU haben müssen. Sie müssen sich fragen, welche Strategien für die Erfüllung der Bedürfnisse und der EU-Ziele taugen. Gleichzeitig ist Einfühlungsvermögen für jenes Gegenüber zu entwickeln, mit dem man ein Problem hat. EU-Repräsentanten mögen ihr Bedürfnis nach Ordnung (gemäß internationaler Verträge) nicht erfüllt sehen, wenn Russland-Repräsentanten Militär in die Krim schicken. Für sie mag es eine Völkerrechtsverletzung darstellen. Möglicherweise haben Russland-Repräsentanten aber gedacht, dass sie westlichen Gepflogenheiten entsprächen, da ja auch etliche EU-Länder vor 15 Jahren ohne UN-Mandat Jugoslawien bombardiert hatten. EU-Repräsentanten mögen ihr Bedürfnis nach Ordnung (gemäß ukrainischer Verfassung) nicht erfüllt sehen, wenn Russland-Repräsentanten Unabhängigkeitserklärung und Volksentscheid in der Krim akzeptieren. Möglicherweise haben Russland-Repräsentanten aber gedacht, dass sie EU-Gepflogenheiten entsprächen, da diese ja auch die behauptete Abwahl von Janukowitsch anerkannt hat, obwohl die verfassungsgemäße Stimmenzahl nicht erreicht worden war. EU-Repräsentanten mögen ihr Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt sehen, wenn Russland-Repräsentanten Militär in die Krim schicken. Möglicherweise sahen aber zuvor die Russland-Repräsentanten ihr Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt, weil für das EU-Verhalten weder über den NATO-Russland-Rat noch über den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat noch über Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) ausreichende Vereinbarungen erfolgten. Dies sind Mutmaßungen. Und Unrecht des einen soll nicht Unrecht des anderen entschuldigen. Aber dies soll zeigen, dass eine Situation eben unterschiedlich kategorisiert werden kann. Daher ist der Dialog auf Augenhöhe wichtig. Gerade bei staatlichen Organisationen ist nicht das Prinzip der Konkurrenz gefragt, sondern jenes der Kooperationen. Die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg ist ein Modell, bei der jedes unglückliche Vorkommnis separat aufgearbeitet wird. Die Gesprächspartner können auch ihre eigenen Kommunikationsregeln finden, wie dies etwa der UNESCO-Lehrstuhl für Friedensforschung der Universität Innsbruck vorschlägt. Langjährige Erfahrungen bieten auch das von Johan Galtung 1959 gegründete Peace Research Institute Oslo sowie das 1966 gegründete Stockholm International Peace Research Institute. Für die Europawahlen bedeutet dies, dass man bei den zu wählenden Kandidaten auch prüft, wie deren Vorstellung von der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern aussieht bzw. wie deren Vorstellung von internationalen, globalen Friedensbündnissen aussieht. Letztlich gilt dabei: auf die Sprache (einschließlich ihrer Lautstärke) kommt es an. Auch dies ist etwas, das wir im EHP untersuchen und vermitteln.
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